
Ist Trump gefährlicher als Putin?
14. 7. 2025
Überall
in den Vereinigten Staaten baut Trump ohne Medienberichterstattung
und sensationslüsterne Taten einen Polizeistaat auf und untergräbt
die Demokratie, schreibt
Jonathan Freedland
Wenn
Trump etwas Schreckliches und Auffälliges tut, zittern Nationen und
Märkte bewegen sich. Aber wenn er etwas Schreckliches, aber
Unscheinbares tut, bemerkt es fast niemand. Wenn es kein
schockierendes Video, keine vulgären Aussagen, keine Tricks oder
Taten gibt, kann es so weitergehen, als wäre nichts passiert. Vor
allem jetzt, wo unsere Sinne durch Reizüberflutung abgestumpft sind.
In der heutigen Zeit braucht es das andauernde schockierende
Verhalten des amerikanischen Präsidenten, um eine Reaktion
hervorzurufen; wir werden dagegen immun. Doch die Gefahr, die er
darstellt, ist so groß wie eh und je.
Nehmen
wir die Geschehnisse der letzten Woche, von denen nur wenige so
bedeutend waren, um in die Weltnachrichten zu kommen, aber jedes von
ihnen ist ein weiterer Schritt in Richtung der Erosion der Demokratie
in und durch das mächtigste Land der Welt.
Am Mittwoch
drohte Trump, Zölle in Höhe von 50 Prozent – ja, er kehrte zu
diesem toten Pferd zurück – gegen Brasilien zu verhängen, wenn
die Justiz des Landes die Anklage gegen den ehemaligen Präsidenten
Jair Bolsonaro nicht fallen lasse, der Trump ähnlich ist und des
Versuchs beschuldigt wird, seine Wahlniederlage von 2022 rückgängig
zu machen und eines Putsch gegen den Mann, der ihn besiegte, Luiz
Inácio Lula da Silva. Lula erklärte in den sozialen Medien so kurz
wie möglich, dass Brasilien ein souveränes Land ist und dass eine
unabhängige Justiz "keine Einmischung oder Anweisungen von
irgendjemandem annehmen kann... Niemand steht über dem Gesetz."
Das
wird zu einer Gewohnheit von Trump. Den gleichen Schritt machte er
letzten Monat zur Verteidigung von Benjamin Netanjahu, als er
andeutete, dass Israel um Milliarden von Dollar an US-Militärhilfe
kommen könnte, wenn der Premierminister weiterhin wegen Korruption
vor Gericht gestellt würde. In beiden Fällen brachte Trump die
angeklagten Männer eindeutig mit sich in Verbindung und nannte die
Bemühungen um ihre Bestrafung eine "Hexenjagd". "Das
ist nichts anderes als ein Angriff auf einen politischen Gegner",
schrieb er zu Bolsonaros rechtliche Probleme. "Ich weiß viel
darüber!"
Es ist leicht, Trumps offensichtliche
Bemühungen zu bagatellisieren, eine internationale Union
populistischer Autokraten zu schaffen, aber es ist nicht nur
brüderliche Solidarität, die ihn antreibt. Er will auch die Norm
brechen, die lange in der demokratischen Welt galt und die verlangt,
dass die Mächtigsten dem Gesetz unterliegen. Diese Norm ist ein
Hindernis für sie, sie behindert ihre Macht. Wenn es ihm gelingt,
sie zu diskreditieren, entsteht eine neue Konvention, die die
Straflosigkeit der Führer akzeptiert, und das wird seinem Projekt in
den USA helfen: der Anhäufung von immer mehr Macht und Schwächung
oder Beseitigung jeglicher konkurrierenden Autorität, die als Bremse
wirken könnte.
Zu
diesem Ziel helfen ihm im Stillen die amerikanischen Institutionen,
die sich als gleichberechtigte Teile der Regierung betrachten sollten
– der Kongress und der Oberste Gerichtshof – und deren
verfassungsmäßige Pflicht es ist, sich einer übermächtigen
Exekutive zu widersetzen. Die Republikaner im Kongress haben jetzt
ein Mega-Gesetz verabschiedet, von dem sie wissen, dass es zukünftige
Generationen von Amerikanern mit Schulden überfluten und Millionen
von Menschen die grundlegenden Gesundheitsversorgung wegnehmen wird.
Trotzdem legten sie ihr eigenes Urteil beiseite und beugten sich vor
dem Mann, der gerne König werden würde.
Weniger
diskutiert wurde über die außerordentliche Ausweitung der
Befugnisse der US-amerikanischen Einwanderungs- und Zollbehörde
(ICE). Berichten zufolge wurde ihr Budget um 308 Prozent aufgestockt,
wobei weitere 45 Milliarden Dollar für die Eindämmung und 29,9
Milliarden Dollar für "Durchsetzung und Abschiebung"
eingeplant werden. Bald wird sie die Kapazität haben, fast 120.000
Menschen gleichzeitig zu inhaftieren. Und vergessen Sie nicht, dass
nach den neuesten Daten etwa die Hälfte aller ICE-Häftlinge nicht
vorbestraft sind.
Kein Wunder, dass auch konservative
Kritiker Alarm schlagen. Anti-Trump-Republikaner von Bulwark warnen,
dass die "nationale brutale Einheit" ICE innerhalb weniger
Monate doppelt so viele Agenten haben wird wie das FBI und ihr
eigenes weitreichendes Gefängnissystem, womit sie zum
"Hauptinstrument der internen Regierungsmacht" wird. Aus
dieser Perspektive hat Trump erkannt, dass die Korrumpierung des FBI
eine übermenschliche Aufgabe ist – obwohl sie immer noch einen
Versuch wert ist – und ersetzt sie daher durch eine Schattenmacht,
die nach seinem eigenen Bild geschaffen wurde. Wie Bulwark schreibt:
"Amerikas Polizeistaat ist hier."
Diejenigen,
die am meisten gefährdet sind, teilen vielleicht die Videos von
maskierten ICE-Agenten, die Migranten auf der Straße fangen und
gewaltsam behandeln, genauso wie sich Berichte über entsetzliche
Zustände auf dem ICE-Gelände verbreiten, auf dem Menschen in
"unterirdischen Gefängnissen" festgehalten werden, mehr
als 100 Menschen in einem kleinen Raum zusammengepfercht, ohne
Möglichkeit zu duschen oder sich umzuziehen, manchmal erhalten sie
nur eine Mahlzeit am Tag und sind gezwungen, auf Betonbänken oder
auf dem Boden zu schlafen. Aber das ist keine Frage von nationalem
Interesse. Weil es nicht von einer provokanten Rede Trumps begleitet
wird, geschieht es außerhalb der Sichtfeldes der
Öffentlichkeit.
Das Gleiche gilt für eine Reihe von
Urteilen des Obersten Gerichtshofs aus jüngster Zeit. Sie haben
vielleicht nicht die unmittelbare, sensationelle Wirkung vergangener
Entscheidungen, aber sie beschleunigen Trumps gleichen Trend von der
Demokratie zur Autokratie.
Am Dienstag gaben die Richter
Trump grünes Licht für die massenhaft Entlassung von
Bundesangestellte und zur Auflösung ganze Regierungsbehörden ohne
Zustimmung des Kongresses. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof
entschieden, dass Trump Demokraten aus der Führung von
Regierungsgremien entfernen kann, die eigentlich unter politisch
ausgewogener Aufsicht stehen sollten.
Noch nützlicher für
Trump ist, dass die Richter im vergangenen Monat die Macht der
unteren Gerichte einschränkten, die Exekutivgewalt zu blockieren,
womit sie einer der umstrittensten Präsidialverordnungen halfen: der
Abschaffung des Prinzips, dass jeder, der in den USA geboren wurde,
automatisch ein US-Bürger ist, was ein so grundsätzliches Recht
ist, dass es in der Verfassung verankert ist. Mit einer Entscheidung
nach der anderen hebt der Oberste Gerichtshof die Beschränkungen für
Trump auf und gibt ihm noch mehr Macht. Kein Wunder, dass, als am
Donnerstag Ketanji Brown Jackson, eine der Minderheitsrichterinnen,
gefragt wurde, was sie nachts nicht schlafen ließe, sie antwortete:
"Der Zustand unserer Demokratie."
In der
Zwischenzeit hat Trump sein Ziel erfolgreich erreicht, die Presse
einzuschüchtern und erhebliche Geldsummen von den großen
Nachrichtenorganisationen zu verlangen, um im Gegenzug (in der Regel
schwache) Klagen gegen sie fallen zu lassen, was die gewünschte
abschreckende Wirkung hat.
All dies trägt zur allmählichen Erosion der amerikanischen Demokratie und der demokratischen Normen bei, deren Wirkung einst weit über die Grenzen der USA hinausreichten. Auch wenn es nach Trumps Maßstäben leise geschieht, ohne üblichen Lärm und Wut, geschieht es immer noch. Die Arbeit, dies zu verhindern, beginnt damit, dass wir es bemerken.
Übersetzt aus dem Englischen von Uwe Ladwig
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